MEYER & ZUR MÜHLEN RECHTSANWALTSKANZLEI
Kindergarten und Schulbegleitung
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An Diabetes Mellitus Typ I erkrankte Kinder haben regelmäßig einen Anspruch auf Individualbegleitung im Kindergarten und in der Grundschule.
Die Kinder haben oft krankheits- und altersbedingt erhebliche Schwankungen des Blutzuckerspiegels im Tagesverlauf. Dies wird durch den Tagesverlauf eines Kindergartentages bzw. einer Beschulung verbunden mit vermehrten physischen und psychischen Belastungen weiter verstärkt.
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Aufgrund ihres Alters sind sie jedoch regelmäßig noch nicht selbständig abschließend in der Lage, alle erforderliche Maßnahmen treffen, die zur Abwendung von Hyper- aber auch Hypoglykämien sowie um die HbA1c-Werte im Zielbereich zu halten, erforderlich sind. Sie können sich oft noch keinen korrekten Bolus geben oder ihre Mahlzeiten selbständig berechnen.
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Bei ihnen muss daher auch während des Besuchs der Einrichtung regelmäßig, insbesondere auch zu jeder Nahrungsaufnahme, der Blutzucker festgestellt und ggf. zusätzliches Insulin an den Körper abgegeben werden. Die Mahlzeiten müssen beaufsichtigt werden. Zur Blutzuckermessung bedarf es der Unterstützung. Gemessene Blutzuckerwerte können sie oft nicht einschätzen / beurteilen. Körperliche Anzeichen von Über- oder Unterzuckerungen können sie nicht wahrnehmen bzw. interpretieren. Sie müssen daher ständig beobachtet werden.
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Dieses erfolgt im Alltag durch die betreuenden Eltern. Die Eltern können am Kita- bzw. Schulbetrieb jedoch nicht teilnehmen. Oft kann oder darf auch die Kita oder Schule die erforderlichen Hilfen durch eigene Kräfte nicht durchführen. Die Kinder bedürfen daher eines Individual- / Schulbegleiters.
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Insoweit bestand in der Vergangenheit in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte der verschiedenen Bundesländer keine einhellige Auffassung darüber, ob es sich bei der erforderlichen Beobachtung bzw. kontinuierlichen und zuverlässigen Stoffwechselüberwachung um eine von der Krankenkasse zu gewährende Behandlungspflege oder um Leistungen der Eingliederungshilfe, d.h. des Kreises oder der kreisfreien Stadt handelt. Krankenkassen und Kreise verweisen daher oft auf den jeweils anderen.
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Nach der aktuellen herrschenden Meinung in der Rechtsprechung handelt es sich aber grundsätzlich um eine von der Krankenkasse bzw. -versicherung zu finanzierende behandlungspflegerische Maßnahme. Ggf. kann die Zuständigkeit jedoch auch aus einer Weiterleitung oder unter dem Aspekt eines Folgeantrages erwachsen.
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Pflegegrad
> Rechtsprechungssammlung <
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Seit dem 01.01.2017 haben die sog. Pflegegrade die früher geltenden sog. Pflegestufen abgelöst.
Kinder, die an Diabetes Mellitus Typ I erkrankt sind, haben nach der Schwere ihrer Beeinträchtigungen der Selbständigkeit bzw. der Fähigkeiten regelmäßig Anspruch auf Pflegeleistungen nach einem Pflegegrad 2.
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Denn sie weisen oftmals gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen insbesondere in den Bereichen Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen sowie Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte auf und bedürfen deshalb der Hilfe durch andere.
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Dabei können sie die körperlichen, kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingten Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen.
Bei pflegebedürftigen Kindern wird der Pflegegrad dabei durch einen Vergleich der Beeinträchtigungen ihrer Selbständigkeit und ihrer Fähigkeiten mit altersentsprechend entwickelten, nicht erkrankten Kindern ermittelt.
Leider sind die entsprechenden Einschätzungen des Medizinischen Dienstes bzw. der Krankenkassen oder –versicherungen nicht immer vollumfänglich zutreffend.
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In zwei von unserer Kanzlei vor dem Bundessozialgericht geführten und gewonnenen Verfahren hat das Bundessozialgericht mit Datum vom 12.12.2024 (B 3 P 9/23 R; B 3 P 2/24 R) über grundlegende rechtliche Fragen zum Pflegegrad für an Diabetes mellitus Typ I erkrankte Kinder und Jugendliche entschieden.
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Im Modul 3 (Verhaltensweisen und psychische Problemlagen) sind bei Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen im Einzelfall Punkte in Ziffer 3.8 (Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen) zu berücksichtigen.
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Wenn die Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen durch Kinder gesundheitlich bedingt laufend überwunden werden muss, löst dies einen pflegerelevanten Hilfebedarf aus, wenn und weil die Abwehr mangels Einsichtsfähigkeit und Impulskontrollfähigkeit des Kindes nicht ohne Weiteres überwindbar ist. Dies trifft hier auf die fortbestehende Abwehr des Klägers aus kindlicher Angst gegen das schmerzhafte Setzen der Kanüle der Insulinpumpe zu, die überwunden werden muss, um die nötige Insulingabe zu ermöglichen. Nicht erforderlich ist, dass die Abwehr eine eigenständige gesundheitliche Ursache neben der Diabeteserkrankung hat; es genügt, dass die Behandlung einer Diabeteserkrankung eines Kindes pflegerelevante inadäquate Handlungen bedingt, die sich in einer Abwehr äußern, die ihrerseits gesundheitlich bedingt überwunden werden muss. Diese Abwehr aus kindlicher Angst hat auch nicht als altersentsprechend unberücksichtigt zu bleiben, weil sie aufgrund ihrer jeweils individuellen Bedingtheit durch die Diabeteserkrankung sich einem Vergleich mit altersentsprechend entwickelten Kindern weitgehend entziehe, die diesen gesundheitlich bedingt höheren Anforderungen nicht ausgesetzt seien. Dass nicht alle Kinder mit Diabetes ein pflegerelevantes Abwehrverhalten wie hier zeigen, steht einer Anerkennung eines Pflegebedarfs bei Kindern, die ein solches Verhalten zeigen, nicht entgegen.
Nichts anderes gegenüber diesen gesetzlichen Vorgaben ergibt sich aus den Begutachtungs-Richtlinien des Spitzenverbands Bund der Pflegekassen in allen Fassungen. Die hier einschlägigen Aussagen zum Modul 3 halten sich in den Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung zum Erlass der Richtlinien. Danach geht es im Modul 3 um Verhaltensweisen und psychische Problemlagen als Folge von Gesundheitsproblemen, die immer wieder auftreten und personelle Unterstützung des Kindes erforderlich machen, soweit es ohne diese sein Verhalten nicht selbst steuern kann. Soweit in der geänderten Fassung der Begutachtungs-Richtlinien vom 22. März 2021 das Modul 3 in Teilen dahin verengend konkretisiert worden ist, dass entwicklungstypische ängstliche Abwehrreaktionen auf Maßnahmen wie Insulininjektionen hier nicht zu bewerten sind, weil sie nicht Folgen eines psychischen Gesundheitsproblems sind, vermag dies die Berücksichtigung des Hilfebedarfs im Modul 3 nicht auszuschließen. Das kindliche Abwehrverhalten aus Angst ist durch die Behandlung der Diabeteserkrankung bedingt und diese Abwehr muss gesundheitlich bedingt überwunden werden, auch wenn die durch Angst begrenzte Fähigkeit zur Selbststeuerung nicht Folge eines psychischen Gesundheitsproblems ist. Eine Verengung allein hierauf wäre mit den gesetzlichen Vorgaben, die in § 14 SGB XI lediglich gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten vorsehen, nicht zu vereinbaren und kann den Richtlinien so auch nicht entnommen werden, die weiterhin für nicht psychische Gesundheitsprobleme offengeblieben sind.
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Zudem sind im Modul 4 (Selbstversorgung) bei Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen im Einzelfall weitere Einzelpunkte bei Ziffer 4.8 (Essen) zu berücksichtigen.
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Wenn und soweit bei Kindern mit Diabetes gesundheitlich bedingt spezifische Anforderungen an die Nahrungsaufnahme bestehen und zugleich die Aufsicht über die diesen Anforderungen entsprechende Nahrungsaufnahme nach Art, Menge und Zeit im Zusammenhang mit der Dosierung der Insulingaben gesundheitlich bedingt geboten ist, löst dies einzelfallabhängig einen eigenständigen pflegerelevanten Hilfebedarf aus, wenn und soweit ein Kind abweichend von altersentsprechend entwickelten Kindern nicht stets von sich aus seine Nahrung vollständig zeitnah zu sich nimmt.
Dem steht nicht entgegen, dass im Modul 5 bei Ziffer 5.16 (Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften) Einzelpunkte berücksichtigt sind. Dieser mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff erfasste eigenständige Hilfebedarf beim Einhalten krankheitsbedingter Essvorschriften im Zusammenhang mit einer essensangepassten Medikamentengabe unterscheidet sich von der Aufsicht über Kinder mit Diabetes beim Essen jedenfalls dann, wenn und soweit ein Kind nicht stets von sich aus seine Nahrung vollständig zeitnah zu sich nimmt und dies gesundheitlich bedingt einen eigenständigen Hilfebedarf im Bereich der Selbstversorgung begründet. Dieser Hilfebedarf beim Essen neben dem bei der Einhaltung krankheitsbedingter Essvorschriften erfordert nicht, dass das Kind mit Blick auf die Selbständigkeit und Fähigkeiten beim Essen insgesamt nicht altersentsprechend entwickelt ist. Entscheidend ist vielmehr, dass das Kind im Zusammenhang mit der essensangepassten Dosierung der Insulingaben beim Essen erhöhten Anforderungen unterliegt und ob es insoweit einer besonderen, nicht mehr altersentsprechenden Beaufsichtigung beim Essen bedürfe. Ist dem so, tritt dieser Hilfebedarf neben den in Modul 5 bei Ziffer 5.16 erfassten Hilfebedarf, der im Kern nicht den unmittelbaren Vorgang der Nahrungsaufnahme, sondern die Bewältigung von und den selbständigen Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen betrifft.
Auch insoweit ergibt sich nichts anderes aus den Begutachtungs-Richtlinien. Nach den Richtlinien ist im Modul 4 zu bewerten, ob das Kind die jeweilige Aktivität der Selbstversorgung praktisch und ohne Anleitung durchführen kann oder ob es der Unterstützung wie durch Impulsgabe und Aufsicht bedarf. Unter Punkt KF 4.4.8 (Essen) wird konkretisiert, dass auch zu berücksichtigen ist, inwieweit die Notwendigkeit der ausreichenden Nahrungsaufnahme (auch ohne Hungergefühl oder Appetit) erkannt und die empfohlene, gewohnte Menge tatsächlich gegessen wird. Muss das Kind zum Beispiel aufgefordert werden, weiter zu essen, ist dies als überwiegend selbständig zu werten. Auch hiernach begründet die Aufsicht über die vollständige zeitnahe Nahrungsaufnahme einen anzuerkennenden Pflegebedarf. Die Aufforderung des Kindes, die diabetesbedingte Nahrung vollständig zeitnah auch ohne Hungergefühl oder Appetit aufzunehmen, um Blutzuckerentgleisungen zu vermeiden, unterscheidet sich insoweit vom Einhalten einer Diät oder anderer Essvorschriften, soweit diese sich nicht in der bloßen Nahrungsaufnahme erschöpft, sondern etwa die Einhaltung einer blutzuckerspiegelangepassten Ernährung beinhaltet. Im Modul 5 ist nach den Richtlinien zu bewerten, ob das Kind die jeweilige Aktivität praktisch durchführen kann. Ob ein Kind im Sinne der jeweiligen Konkretisierung in den Richtlinien unter Punkt KF 4.5.16 die Einsichtsfähigkeit hat, krankheitsbedingte Essvorschriften selbständig einzuhalten oder ob es insoweit der Erinnerung, Anleitung oder Beaufsichtigung bedarf, ist noch etwas anderes als die Frage danach, ob es der Aufsicht über die diabetesspezifische Nahrungsaufnahme nach Art, Menge und Zeit und der Aufforderung bedarf, weiter zu essen, weil die Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme auch ohne Hungergefühl oder Appetit ungeachtet der Einsicht in krankheitsbedingte Essvorschriften nicht erkannt wird. Liegen gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen und hieraus resultierende je eigenständige Hilfebedarfe sowohl beim Essen als auch beim Einhalten spezifischer Essvorschriften vor, stehen auch die Richtlinien nicht einer Berücksichtigung dieser Bedarfe sowohl unter KF 4.4.8 als auch unter KF 4.5.16 entgegen.
Das jeweils engere Verständnis der Begutachtungs-Richtlinien lässt sich zwar mit dem Wortlaut und der Systematik von deren hier maßgeblichen Aussagen noch vereinbaren, es stimmt aber nicht mit den weiter gefassten gesetzlichen Vorgaben überein, denen der Vorrang gebührt und aus denen das hier dargelegte gesetzeskonforme Verständnis der Begutachtungs-Richtlinien folgt.
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Die Entscheidungen des Bundessozialgerichts sind rechtskräftig und nicht mehr mit Rechtsmitteln angreifbar. Sie wirken sich auf laufende und zukünftige Antrags-, Widerspruchs- und Klageverfahren bundesweit, unmittelbar und sofort aus.
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Betroffen sind Kinder aller Altersgruppen, unabhängig davon, wann der Antrag auf Pflegeleistungen gestellt worden ist und welche Version der Begutachtungsrichtlinien seit 2017 zugrunde liegt. Es handelt sich bei den Urteilen nicht um eine neue Rechtslage, sondern um die Feststellung der bereits seit 2017 bestehenden Rechtslage.
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Eltern von betroffenen Kindern sollten daher überlegen, einen Erstantrag oder bei bestehendem Pflegegrad 0 oder 1 einen Höherstufungsantrag für die Zukunft bei der Pflegekasse zu stellen. Aber auch eine rückwirkende Überprüfung für in der Vergangenheit liegende Zeiträume kann durch einen Überprüfungsantrag an die Pflegekasse beantragt werden.
In einem von unserer Kanzlei vor dem Bundessozialgericht geführten Verfahren hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 12.12.2024, B 9 SB 2/24 R, erstmals Kriterien für einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes mellitus Typ I konkretisiert.
Ein GdB von 50 liegt nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) bei an Diabetes mellitus erkrankten Menschen vor, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbstständig variieren müssen, wenn sie durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind.
Die Insulininjektionen und abhängigen Insulindosen sind oftmals unproblematisch vorhanden. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen insoweit dokumentiert sein.
Fraglich ist i.d.R. jedoch, ob das betroffene Kind durch erhebliche Einschnitte gravierend in seiner Lebensführung beeinträchtigt ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts lässt sich eine solche Beeinträchtigung nur unter strengen Voraussetzungen annehmen. Allein die Einschnitte, die mit der Insulintherapie zwangsläufig verbunden sind, genügen nicht. Ein GdB von 50 erfordert vielmehr einen dieses hohe Maß noch übersteigenden, besonderen Therapieaufwand, einen unzureichenden Therapieerfolg oder sonstige, durch die Krankheitsfolgen herbeigeführte erhebliche Einschnitte in der Lebensführung.
Solche Einschnitte können sich bei der Planung des Tagesablaufs, der Gestaltung der Freizeit, der Zubereitung der Mahlzeiten, der Berufsausübung oder der Mobilität zeigen. Ihre Feststellung erfordert eine am Einzelfall orientierte Beurteilung, die alle die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinflussenden Umstände berücksichtigt.
Bei der danach erforderlichen Beurteilung der diabetesbedingten Einschnitte in der Lebensführung ist das betroffene Kind mit gleichaltrigen, gesunden Kindern in seiner alterstypischen Lebenssituation zu vergleichen. Dabei ist eine alterstypische sportliche Betätigung oder sonstige Befähigung einzubeziehen, jedoch keine besondere, den Altersdurchschnitt weit übertreffende geistige Fähigkeit oder körperliche Aktivität.
„Harte Faktoren“ für einen GdB 50 sind danach bspw.:
- hypoglykämische Entgleisungen mit erforderlicher Fremdhilfe
- stationäre Behandlungsbedürftigkeit
- Folgeschäden an anderen Organen oder
- nennenswerte Zeiten von Schul- oder Arbeitsunfähigkeit.
Keine gravierenden Einschnitte in der Lebensführung liegen hingegen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur deswegen vor, weil das betroffene Kind bei der Therapie des Diabetes mellitus im
gesteigerten Ausmaß dauerhaft auf Hilfe und Begleitung seiner Eltern angewiesen ist. Die Begleitung und Überwachung durch Eltern lässt sich als Einschnitt in der Lebensführung verstehen, der zwangsläufig mit der Insulintherapie verbunden ist, aber ohne zusätzliche Teilhabebeschränkungen für sich genommen keine weitere GdB-Erhöhung, sondern nur das Merkzeichen H rechtfertigt.
Eine dauernde elterliche Begleitung und Überwachung minderjähriger Diabetespatienten kann im Einzelfall trotzdem einen höheren GdB bedingen, wenn sie nachweisbar
[„weiche Faktoren“]
- die Integrationsfähigkeit des Kindes erheblich beeinträchtigt, etwa weil sie es in eine Sonderstellung bringt, die sich negativ auf seine psycho-emotionale Entwicklung auswirkt oder
- notwendige nächtliche Blutzuckerkontrollen der Eltern den Schlaf des Kindes in teilhaberelevanter Weise stören.
Die Vorinstanz, das Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen, hatte insoweit beispielhaft individuelle soziale Probleme, gravierende Verhaltensauffälligkeiten oder eine deutlich verringerte soziale Akzeptanz genannt. Dagegen spreche hingegen, wenn das Kind ausgesprochen kontaktfreudig sei und viele Freunde habe.
Die bloße Möglichkeit, dass das Kind ohne die Aufsicht und Begleitung der Eltern weitgehend von für seine gesellschaftliche Teilhabe relevanten Aktivitäten ausgeschlossen sein könnte, reicht zudem nicht.
Dadurch verursachte zusätzliche Einschnitte in der Lebensführung müssen darüber hinaus ausreichend gewichtig sein, um bei der Bewertung des GdB für Diabetes das Überschreiten der Schwelle zur Schwerbehinderung rechtfertigen zu können. Insoweit wäre zur Kontrolle für die Maßstabsbildung der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen heranzuziehen, für die im Tabellenteil der VMG ein Wert von 50 fest vorgegeben ist.
Unabhängig davon kann eine außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellage nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen jeweils höhere GdB-Werte bedingen.
Hilflosigkeit (Merkzeichen H) ist i.ü. bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres anzunehmen.
